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Mode-KI: Neue Geschäftsfelder durch smarte Styling-Assistenten

Die digitale Avantgarde, allen voran die Generation Z, entdeckt ChatGPT und Konsorten als persönlichen Modeflüsterer und Styling-Assistenten. Was zunächst wie eine Spielerei technikaffiner Jugendlicher anmutet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein potenziell interessanter Impuls, der auch für professionelle Fotokreative und Bildbearbeiter neue Geschäftsmodelle und Auftragsfelder eröffnen könnte. Denn wo Algorithmen Stilrichtungen analysieren und Outfit-Vorschläge generieren, entsteht ein neuer Bedarf an hochwertiger Visualisierung und kreativer Interpretation – eine Steilvorlage für Profis, die wissen, wie man Ideen ins perfekte Bild setzt.

Die Zahlen untermauern das immense Potenzial: Der Markt für KI-gestützte Modeberatung in Deutschland wird für 2024 auf beachtliche 16,4 Milliarden Euro taxiert, mit einer jährlichen Wachstumsrate von über sechs Prozent bis 2030. Diese Entwicklung geht weit über reine Text-Empfehlungen hinaus und zielt auf eine tiefgreifende Veränderung der Art und Weise, wie Mode wahrgenommen, ausgewählt und präsentiert wird. Für Fotokreative bedeutet dies, die Chancen zu erkennen, die in dieser technologischen Welle liegen.

Wenn Algorithmen den Kleiderschrank kuratieren

Die technische Grundlage dieser neuen Styling-Helfer ist eine ausgeklügelte Melange aus maschinellem Lernen und umfassender Datenanalyse. Systeme wie ChatGPT durchforsten unentwegt globale Modetrends – von den Laufstegen Mailands bis zu den Streetstyles Tokios, von Social-Media-Hypes bis zu Nischen-Blogs. Diese immense Datenmenge erlaubt es der KI, erstaunlich kontextbezogene und personalisierte Empfehlungen zu liefern. Die Nutzer erhalten so individuelle Styling-Tipps, die auf ihren Präferenzen, ihrem angegebenen Körpertyp und den aktuellen Strömungen basieren.

Spannend wird es, wenn diese textbasierten Vorschläge mit visuellen Technologien verschmelzen. Virtuelle Anproben, bei denen Kleidungsstücke digital am eigenen Avatar oder Foto getestet werden können, sind bereits auf dem Weg in den Mainstream. Hier öffnet sich ein erstes Tor für Fotokreative: Wer liefert die hochwertigen, neutral ausgeleuchteten Basisfotos von Personen oder die präzisen Produktaufnahmen von Kleidungsstücken, die für solche Anwendungen benötigt werden?

Die eigentliche Chance für Fotografen und Bildbearbeiter liegt jedoch nicht primär in der Bedienung der jungen, experimentierfreudigen Gen Z, sondern in der Adaption dieser Technologie für andere Zielgruppen und anspruchsvollere Kontexte. Stellen Sie sich vor, Sie bieten als Fotograf „KI-gestützte Personal Branding“-Pakete an. Ihre Kunden – beispielsweise Führungskräfte, Selbstständige oder Personen des öffentlichen Lebens – erhalten nicht nur exzellente Porträts, sondern im Vorfeld eine KI-basierte Analyse ihres gewünschten Images und dazu passende, visuell aufbereitete Garderobenvorschläge. Der Algorithmus liefert die Daten und Ideen, der Fotograf die künstlerische Vision und die handwerkliche Perfektion bei der Umsetzung.

Ein weiteres Feld ist die Zusammenarbeit mit Modeunternehmen und Retailern. Viele kleinere und mittlere Marken verfügen nicht über das Budget für große Styling-Teams oder aufwendige Lookbook-Produktionen für jede Kollektionsfacette. Hier können Fotokreative als Bindeglied fungieren: Sie lichten die Kernkollektion professionell ab und nutzen dann KI-Tools, um Variationen, Kombinationsmöglichkeiten oder Anpassungen an verschiedene Zielgruppen-Avatare zu visualisieren. Dies spart Kosten und beschleunigt den Prozess von der Idee bis zum marktreifen Bildmaterial für Online-Shops, Social Media oder Kataloge.

Denken wir an die Corporate Fashion: Unternehmen, die Wert auf ein einheitliches und professionelles Erscheinungsbild ihrer Mitarbeiterschaft legen, könnten von KI-gestützten Stilberatern profitieren, die relativ individuelle Figurtypen und Unternehmensrichtlinien berücksichtigen. Fotografen könnten dann die Aufgabe übernehmen, diese digital entworfenen Looks in hochwertigen Mitarbeiterporträts oder Imagekampagnen zum Leben zu erwecken, die Authentizität und Professionalität ausstrahlen.

Auch für die klassische Modefotografie und Editorial Shoots kann die KI als Inspirationsquelle und Effizienz-Booster dienen. Anstatt stundenlang Moodboards manuell zusammenzustellen, kann der Fotograf die KI mit bestimmten Stilrichtungen, Farbschemata oder Epochen füttern und erhält binnen Sekunden eine Fülle an visuellen Anregungen. Diese können dann als Ausgangspunkt für die eigene kreative Interpretation und die detaillierte Planung des Shootings dienen. In der Postproduktion könnten KI-Tools helfen, alternative Farbgebungen oder sogar Kleidungsdetails non-destruktiv zu variieren, um dem Kunden eine breitere Auswahl an Ergebnissen zu präsentieren.

Die Symbiose: Menschliche Kreativität trifft maschinelle Intelligenz

Es ist entscheidend zu verstehen, dass die KI hier nicht als Konkurrenz, sondern als mächtiges Werkzeug für den Fotokreativen fungiert. Die Stärke des Algorithmus liegt in der Datenverarbeitung und Mustererkennung im großen Stil. Die menschliche Expertise des Fotografen und Bildbearbeiters bleibt jedoch unverzichtbar für die emotionale Aufladung, die subtile Lichtführung, den perfekten Moment, die künstlerische Komposition und die technische Brillanz der finalen Aufnahme.

Die KI kann Vorschläge für ein Business-Outfit liefern, aber der Fotograf ist es, der die Persönlichkeit des Managers im Porträt einfängt. Die KI kann tausend Hosenmodelle kennen, aber der Bildbearbeiter sorgt dafür, dass der Stoff im Bild natürlich fällt und die Farben exakt der Realität entsprechen. Es geht um eine Symbiose, bei der die KI repetitive oder rechercheintensive Aufgaben übernimmt und dem Profi so mehr Zeit für das Wesentliche verschafft: die Kreation einzigartiger und überzeugender Bilder.

Die Fähigkeit, KI-generierte Konzepte zu verstehen, zu kuratieren und in hochwertige visuelle Ergebnisse zu überführen, wird zu einer neuen Schlüsselkompetenz. Wer diese Technologien adaptiert und in sein Dienstleistungsportfolio integriert, kann sich nicht nur neue Kundengruppen erschließen, sondern auch seine Effizienz steigern und seine kreativen Möglichkeiten erweitern. Die KI wird zum Co-Piloten im kreativen Prozess, der hilft, neue stilistische Höhen zu erreichen und innovative Bildsprachen zu entwickeln. Die Zukunft gehört denjenigen Fotokreativen, die bereit sind, diese neuen Werkzeuge meisterhaft zu führen – und hier ist mal wieder ein Beispiel, das beim Neudenken hilft.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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