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Die Fotografie des Flüchtigen: Ralf Mohrs Blick auf Marco Goeckes Tanzwelten

Die Fotografie steht oft im Widerspruch zum Tanz. Hier das statische, für die Ewigkeit fixierte Bild, dort die im Augenblick vergehende Bewegung. Dieses Spannungsfeld auszuloten, ist eine der größten Herausforderungen für jeden Bildgestalter. Der Fotograf Ralf Mohr hat sich dieser Aufgabe nicht nur gestellt, er hat sie über Jahre hinweg zu seinem Sujet gemacht. Sein neuer bei der Docmatischen Gesellschaft erschienener Bildband „Stage–Backstage“ ist das beeindruckende Ergebnis seiner Langzeitbeobachtung des Staatsballetts Hannover unter der Leitung des Choreografen Marco Goecke. Das Buch dokumentiert eine künstlerische Symbiose und gewährt Einblicke in eine Ära, die ebenso intensiv wie abrupt zu Ende ging.

Eine langjährige Annäherung

Die Zusammenarbeit zwischen Mohr und Goecke ist keine kurzfristige Auftragsarbeit, sondern das Resultat einer langjährigen künstlerischen Annäherung. Bereits 2006, als Marco Goecke noch als Gastchoreograf in Hannover tätig war, hatte Mohr die Gelegenheit, eines seiner Stücke zu fotografieren Dieser frühe Kontakt legte den Grundstein für ein tiefes Verständnis der Bewegungssprache Goeckes. Als dieser dann zur Spielzeit 2019/20 die Leitung des Staatsballetts übernahm intensivierte sich die Zusammenarbeit. Mohr wurde zum visuellen Chronisten einer Compagnie, die unter Goecke eine radikale Neuausrichtung erfuhr. Er war nicht nur bei den Premieren anwesend, sondern begleitete den gesamten Prozess: vom schweißtreibenden Training über konzentrierte Proben bis hin zu den emotionalen Momenten der An- und Entspannung hinter der Bühne .

Die Ästhetik des radikalen Moments

Marco Goeckes Choreografien sind für Fotografen eine tour de force. Seine Ästhetik bricht mit klassischen Ballettkonventionen. An die Stelle fließender Eleganz tritt eine nervöse, vibrierende, oft fragmentierte Bewegung, die den Körper in seine Einzelteile zu zerlegen scheint. Die Tänzer agieren in einem permanenten Zustand höchster Anspannung, ihre Bewegungen sind von atemberaubender Geschwindigkeit Für einen Fotografen bedeutet dies, unter Bedingungen zu arbeiten, die technisch an die Grenzen des Machbaren stoßen: minimales Bühnenlicht, extreme Hell-Dunkel-Kontraste und eine Dynamik, die den entscheidenden Moment auf den Bruchteil einer Sekunde reduziert Bilder fangen genau diese radikale Ästhetik ein Sie zeigen keine gefälligen Posen, sondern die rohe Energie und die physische Verausgabung, die Goeckes Arbeiten auszeichnen. Der Bildband wird damit auch zu einem wichtigen Zeitdokument. Er porträtiert die künstlerisch prägende, aber auch kontroverse Zeit Goeckes als Ballettdirektor in Hannover, die von 2019 bis zu seiner aufsehenerregenden Suspendierung im Februar 2023 andauerte, Werke wie das 2022 uraufgeführte Stück „A Wilde Story“ oder seine Auseinandersetzung mit Marguerite Duras‘ Roman „Der Liebhaber“ zeugen von einer einzigartigen choreografischen Handschrift, die Mohr meisterhaft zu visualisieren wusste.

Bildband bestellen

Der Bildband Stage-Backstage – Das Staatsballett Hannover unter Marco Goecke fotografiert von Ralf Mohr ist aktuell nur direkt im Webshop auf docma.info erhältlich.
Hardcover, 152 Seiten, 21 x 30 cm, Texte in Deutsch, mit einem Vorwort von Rolf Nobel und einem Nachwort von Christoph Künne, Euro 49,95

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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